Freitag, 13. Januar 2017

Editorial Kongress-Brief Gender-Gesundheit (Dezember 2016)

Was hat sich im Rückblick auf das Jahr 2016 politisch und im System für das Thema Gender-Gesundheit getan?

Mit Blick auf die Politik ist v.a. der Koalitionsvertrag zwischen Bündnis90/Die Grünen und der CDU in Baden-Württemberg zu nennen, der sich ausdrücklich Frauen- und Männergesundheit widmet und sich vornimmt, z.B. "geschlechtsspezifische Gesundheitsforschung aus(zu)bauen (und) das Differenzbewusstsein an medizinischen Fakultäten (zu) fördern".

Auf vielen Fachkongressen werden den Fragen zu einer geschlechtsspezifischen Gesundheitsversorgung bzw. Medizin zunehmend Slots eingeräumt, die als steter Tropfen helfen, das Bewusstsein für eine geschlechtersensible Medizin zu vergrößern und – die nach wie vor ausgeprägten – Beißreflexe zu reduzieren. Denn noch immer führt die spezielle Zuordnung „Gender“ zum Beispiel vor dem Wort „Medizin“ zu einer 1:1 Übersetzung in „Frauen-Medizin“, die mit radikal-emanzipatorischen Bestrebungen assoziiert, reflexartig abgelehnt wird. Vielleicht ist das einer unter vielen Gründen, die z.T. zu einer noch recht zögerlichen Akzeptanz und Verbreitung der Erkenntnisse aus der Gender-Medizin führt. Je nach Indikation lassen sich durchaus Unterschiede beobachten: während die Nationale Versorgungsleitlinie zur Behandlung einer Depression die Diskussion um mögliche geschlechtsspezifische Besonderheiten 2015 durchaus aufnimmt, hat eine entsprechende Berücksichtigung beim Krankheitsbild koronarer Herzerkrankungen erst im Januar 2016 Eingang in die nationale Leitlinie gefunden. In den ESC Pocket Guidelines aus dem Jahr 2011 wird noch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Männer und Frauen gleich zu diagnostizieren und zu behandeln seien. Im Vergleich zum Krankheitsbild Depression, wo eine geschlechtersensible Betrachtung erst Anfang der 2000er Jahre verstärkt Gegenstand der Forschung wurde, hatten die Erkenntnisse zum "weiblichen Herzinfarkt" einen längeren Weg bis zur Leitlinie; denn hier reicht die Forschung bis in die 1980er Jahre.

Auch auf der internetbasierten Suche nach Universitäten, die im Curriculum ihrer medizinischen Studiengänge Lehrangebote zu Gender-Medizin haben, ist die Ausbeute spärlich. Neben der Charité Berlin, die mit dem Institut für Geschlechterforschung in der Medizin u.a. auch die Grundlage für ein Mastermodul „Gender-Medizin“ geschaffen hat, gibt es Kooperationen wie zwischen den Universitäten Duisburg Essen und Münster sowie Initiativen zu Ringsvorlesungen wie in Aachen oder Ulm. Die Wissensvermittlung ist auf diesem Gebiet dem individuellen Engagement einzelner (meist) Professorinnen zu danken. Die Forderung des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB), die Curricula an den medizinischen Fakultäten an die Forschungsergebnisse in der Gender-Medizin (merke: eine Medizin die geschlechtsspezifischen Besonderheiten Rechnung trägt!) anzupassen, scheint mir ein ambitionierter und guter Plan für das Jahr 2017!


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