Wussten Sie, dass Aspirin bei Männern prophylaktisch gegen Herzinfarkt wirkt, bei Frauen jedoch das Schlaganfallrisiko herabsetzen kann?
Im Bereich der pharmazeutischen Forschung scheinen tradierte und als selbstverständlich geltende Ansätze einer fundamentalen Neuausrichtung zu harren. Während sich das Studiendesign in den 1980er Jahren zur Untersuchung entzündungshemmender Wirkstoffe ausschließlich auf männliche Tiere und Patienten beschränkte, zeigt eine neuere Prüfung der Friedrich-Schiller-Universität Jena, dass hier Potential verschenkt wurde. In der weiblichen Blutzelle fehlt schlicht das Testosteron, das es männlichen Blutzellen leichter macht, mit einer Entzündung fertig zu werden. Ein pharmazeutischer Wirkstoff hätte diese Rolle im weiblichen Organismus übernehmen und möglicherweise vielen an Allergien erkrankten Frauen das Leben erleichtern können, Dank einseitiger Versuchsanordnung, die weibliche Tiere und damit weibliche Blutzellen (wie selbstverständlich?) ausschloss, blieb eine Zulassung für den Wirkstoff versagt und Entwicklungsgelder schienen zunächst vergeblich investiert.
Überhaupt offenbarten die Vorträge während des Symposiums "Gendermedizin 2012" am Institut für Geschlechterforschung in der Medizin (GiM) der Charité in Berlin, dass der weibliche Organismus vermutlich nur im Bereich der Gynäkologie eine angemessene Beachtung findet und eine Zusammenschau der physiologischen Zusammenhänge eher ein Novum sind.
Wer aber bestimmt, welche Fragen wie in der Forschung gestellt werden? Dass sich das weibliche und männliche Gehirn unterscheiden, ist seit rund 100 Jahren bekannt. Dem im Schnitt 100g leichteren weiblichen Gehirn wurde lange Zeit schlicht die Fähigkeit zur höheren Intelligenz abgesprochen – nach dem bequemen Motto: Quantität gleich Qualität. Das traut sich nun keiner mehr zu sagen. Dass sich das männliche Gehirn leichter mit der Erfassung von Strukturen tut, während Frauen eher über ein besseres Sprachgedächtnis verfügen, stellte Prof. Dr. Dr. Bettina Pfleiderer als den heutigen wissenschaftlichen Standard vor.
Hier sei die ketzerische Frage erlaubt, ob nicht eine erzieherische und gesellschaftliche Beeinflussung – also eben der Gendereffekt – umgekehrt gerade die entsprechenden Gehirnareale besonders bevorzugt? Oder ob tatsächlich die physiologische Veranlagung bestimmte Reize von vornherein begünstigt und damit die dafür zuständigen Bereiche besonders stark ausbildet? Das könnte wiederum zu der Frage verleiten, inwieweit die Ansprache von Mädchen im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht und die der Jungen in den Fächern Deutsch und Fremdsprachen zu gestalten wäre, um ein nachhaltiges Interesse zu wecken?
Aber zurück zur Medizin: die Fähigkeit und das Bedürfnis die vielfältigen Symptome zu beschreiben, wie sie eine Frau im Falle eines Herzinfarkts bei sich beobachtet, kann in der Notaufnahme zur Falle werden und eine adäquate Behandlung verzögern – wenn nicht verhindern, wie die Direktorin des GiM, Prof. Dr. Vera Ragitz-Zagrosek, schilderte. Denn auf die "typischen", beim "männlichen" Infarkt auftretenden Symptome trainiert, fehlt in der Praxis (noch) die Routine, um die Schilderungen schnell genug zuordnen zu können und eine Fehldiagnose zu vermeiden. Würde das Infarktrisiko auch für Frauen deutlicher wahrgenommen, ließen sich durch rechtzeitige Prävention nicht nur die Sterblichkeitsraten reduzieren, sondern die Erkrankung womöglich vermeiden und somit die für die Behandlung anfallenden Kosten sparen. Das ist die gute Nachricht: Frauen stehen – rollenbedingt – präventiven Maßnahmen offener gegenüber und wären als Arbeitskraft (Stichwort: demographische Entwicklung) länger am Markt.
Möglicherweise müssten die Kosten, die für die Erhaltung oder Wiederherstellung von Gesundheit neu ermittelt werden. Frauen profitieren von einer Akupunkturbehandlung z.B. bei chronischen Schmerzen deutlich mehr als Männer und sind damit kosteneffizienter, stellte Prof. Dr. Claudia Witt fest.
Um in der Forschung die Fragen vollständig (wissenschaftlich) zu stellen und den daraus resultierenden Erkenntnissen Einzug in den medizinischen Versorgungsalltag zu ermöglichen, bedarf es wohl auch hier mehr Frauen auf den Chefsesseln. "Wir brauchen eine feste Quote in den Leitungspositionen der Medizin!" fordert Prof. Dr. Gabriele Kaczmarczyk, Gründungsmitglied des Netzwerks "Frauengesundheit Berlin". Warum führende Positionen in Fachgesellschaften (selbst im Bundesverband der Frauenärzte), in Krankenhäusern oder in der Lehre noch immer so sparsam mit Frauen besetzt werden, lässt sich angesichts der deutlich überwiegenden Zahl von Frauen, die den Arztberuf ergreifen und auch sonst die meisten Beschäftigten im Gesundheitswesen stellen, kaum schlüssig erklären. Sie tragen erheblich zu den 11 Prozent bei, die die Gesundheitswirtschaft zum Bruttoinlandsprodukt beisteuert. Zu wenig qualifizierte Frauen? Eine Brüsseler Frauenquote könnte durchaus auch hier beschleunigende Wirkung entfalten.
Und hier die gute Nachricht: Julia Seifert ist die neue Vizepräsidentin des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen (BDC). http://www.facharzt.de
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Von Ina Brzoska
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