Mittwoch, 19. Juni 2013

Dynamische Entwicklung - oder zementierte Strukturen?


Sind erst mal genügend Frauen an der "Basis", dann ergibt sich der Rest in den Führungsetagen ganz von selbst. So die gängige Argumentation von überzeugten Quotengegnern. Für manche technischen Bereiche mag diese Schlussfolgerung verfangen, ein Blick auf das Gesundheitswesen zeigt, dass hier durchaus kein Automatismus vorliegt. Die beträchtliche Zahl von MedizinerINnen und die noch beträchtlichere Zahl von PflergerINnen spiegelt sich auf den Entscheidungsebenen keineswegs wider.
Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr verspricht Abhilfe mit dem Versorgungs-strukturgesetz und bemängelt im Interview mit der Süddeutschen Zeitung die tradierten Strukturen in Krankenhäusern, ohne allerdings konkrete Maßnahmen zur Abhilfe zu verraten. Allein auf eine demografische Entwicklung, innere Einsicht und die Vereinbarkeit-von-Familie-und-Beruf zu setzen scheint  – gelinde gesagt – optimistisch. Ohne eine deutlich höhere Anzahl an Oberärztinnen, Chefärztinnen und nicht zuletzt an Professorinnen und Dekaninnen wird sich an einer Kommunikationsform, häufig einem starren "Oben" und "Unten" geschuldet, an Arbeits-zeiten, die ein Familienleben ohne "Backoffice" (früher die sorgende Ehefrau) unmöglich machen, und an der m/w-Verteilung der wissenschaftlichen Veröffentlichungen nur sehr, sehr langsam etwas ändern.
Diese Bedingungen sind oft wenig attraktiv für junge Ärztinnen und auch Ärzte und mit dem angestrebten Lebensentwurf wenig kompatibel. Ein Teil der Nachwuchsmediziner entscheidet sich gleich für eine Karriere in der Wirtschaft und gegen die Versorgung. Mehr Männer als Frauen. Ein Teil widmet sich der Forschung und ein anderer Teil geht – sobald möglich – in den niedergelassenen Bereich. Cherchez la femme...! Auch hier sind es häufig Ärztinnen, die eher das "platte Land" versorgen und weniger in den lukrativen Ballungszentren zu finden sind. Möglich, dass das Versorgungsstrukturgesetz hier etwas bewirkt; aber eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wie sie die FDP anbietet, wird nicht genügen und verortet die familiäre Verantwortlichkeit implizit wieder bei den Frauen.
Ein echter Strukturwandel, der den Namen auch verdient, kann vor tradierten Denkmustern nicht halt machen. Junge Frauen brauchen weibliche Vorbilder – zur Orientierung und für's Selbstvertrauen. Genau wie junge Männer männliche Vorbilder brauchen. Es ist nicht lustig im Studium (wie mir von einer Studentin berichtet wurde) auch scherzhaft (?) mit "Schwester" angesprochen zu werden, während der Komilitone schon weit vor seiner Promotion auf "Doktor" hören darf.
Diese Geschlecht und pflegerische Leistung herabsetzenden Denkschablonen werden erst bei einer ausgeglichenen Besetzung der Führungsposten weichen. Und dann werden – ganz selbstverständlich – auch mehr Frauen auf diese Posi-tionen folgen.
Die liberale Haltung, jegliche Quote, sei sie gesetzlich festgeschrieben oder flexibel, abzulehnen, heißt ein Druckmittel aus der Hand zu geben. Eine Quote kann nicht Selbstzweck, sondern nur Vehikel sein. Erinnert sei hier an die heftige Diskussion um die 1976 endlich eingeführte Gurtpflicht. Darf ein liberaler, demokratischer Staat seine "mündigen Bürger"  zwingen, sich hinter dem Lenkrad zu "fesseln"? So die Kernfrage. Ohne den staatlichen und bußgeldbewehrten Zwang würden zahlreiche Autofahrer bei Unfällen wahrscheinlich heute noch mit dem Kopf durch die Windschutzscheibe gehen.