"Die Würde des Menschen ist unantastbar". Der
inzwischen wohl berühmteste Pflege-Azubi Deutschlands, Alexander Jorde, zitiert
während der Sendung "Wahlarena" Artikel 1 des Grundgesetzes, um
Angela Merkel auf eine substantielle Antwort auf die Zustände in der Pflege,
v.a. der Altenpflege festzunageln. Das klappt nur eingeschränkt, denn die
Berufspolitikerin entgegnet verklausuliert und umgeht das klare Bekenntnis. Er
schafft es aber, dass das Thema auch in "Hart aber fair" beleuchtet
wird. Chapeau! Jorde ist einer der (immer noch) wenigen jungen Männer, die den
Pflegeberuf gewiss nicht des Geldes wegen erlernen, sondern, wie von der
Kanzlerin angeregt, aus altruistischen Gründen. Noch in der Ausbildung muss er
feststellen, dass das Pflegepersonal nicht nur mau bezahlt wird, sondern dass
auch in die Pflege selbst kaum investiert wird. Nicht der Patient scheint im
Mittelpunkt zu stehen, sondern die Bilanz und immer weniger Pflegerinnen und
Pfleger sind für immer mehr zu Pflegende verantwortlich. Auf die physische und
psychische Überlastung folgt die Krankheit. Resultat: noch weniger
Pflegepersonal.
Wie kommt es, dass Pflege zwar in Sonntagsreden ernst
genommen wird, sobald es aber zum Schwur kommt und es um Euros geht, schwindet
die konkrete Wertschätzung? Die aktuelle OECD-Studie zur
Geschlechtergleichheit, zeigt (wie gewohnt), dass Deutschland beim
Gender-Pay-Gap – und später Renten-Gap – eher die hinteren Plätze einnimmt.
Wiederholt wird betont, dass das Studium von Natur- oder
Ingenieurswissenschaften Frauen helfen könnte, dieses Dilemma gar nicht erst
entstehen zu lassen. Schön wär's ja; aber zwischen Medizinerinnen, die ja "das
Richtige" studiert haben, und ihren männlichen Kollegen tun sich z.T.
erhebliche Gehaltsdifferenzen auf. Die Erfahrung zeigt auch, dass der Verdienst
in Branchen mit zunehmendem Frauenanteil sinkt.
Ist gute Pflege nun ein
Nice-to-have in einer der reichsten Volkswirtschaften dieser Welt, das
möglichst nichts kosten soll? Und wo die Fachkräfte – meist Frauen – wenig
kosten (sollen), weil z.B. an der
Werkbank eines Autoherstellers Produkte zum Weiterverkauf entstehen, am (Alten)Pflegebett
aber nicht? Jedenfalls werden für mich volkswirtschaftliche Instrumente noch
nicht sichtbar, die gute Pflege, zufriedenes Pflegepersonal im Wertschöpfungskontext
definieren. "Wertschöpfung" enthält den Begriff "Wert", der
mit einer Tätigkeit entsteht. Vielleicht ließe sich der besondere Wert von
Pflege indirekt einpreisen? Es könnte doch z.B. volkswirtschaftlich einen Wert
haben, wenn sich Angehörige darauf verlassen können, dass die Eltern in guten
Händen sind, so dass Töchter oder Schwiegertöchter Vollzeit arbeiten und
ausreichend in die Rente einzahlen könnten. Auch für die jetzt 50 bis 60
jährigen Wähler wäre es ein beruhigendes Gefühl, nicht dem gleichen Zukunft entgegen
zu gehen, das sie aktuell in Fernsehbeiträgen dokumentiert sehen.
Pflege und Altenpflege gehören auch weiterhin auf die
gesundheitspolitische Agenda, aber nicht nur dorthin. Der beschränkende Blick
auf gewachsene (Finanzierungs)Strukturen hilft nicht weiter. Hoffen wir auf
junge Auszubildende, die sich engagieren und keine Scheu haben, Missstände
coram Publico und Kamera zu benennen. Junge Männer tun sich hier traditionell
vielleicht leichter...