Was hat sich im Rückblick auf das Jahr 2016 politisch
und im System für das Thema Gender-Gesundheit getan?
Mit Blick auf die Politik ist v.a. der
Koalitionsvertrag zwischen Bündnis90/Die Grünen und der CDU in
Baden-Württemberg zu nennen, der sich ausdrücklich Frauen- und Männergesundheit widmet und sich vornimmt, z.B. "geschlechtsspezifische
Gesundheitsforschung aus(zu)bauen (und) das Differenzbewusstsein an
medizinischen Fakultäten (zu) fördern".
Auf vielen Fachkongressen werden den Fragen zu einer
geschlechtsspezifischen Gesundheitsversorgung bzw. Medizin zunehmend Slots
eingeräumt, die als steter Tropfen helfen, das Bewusstsein für eine
geschlechtersensible Medizin zu vergrößern und – die nach wie vor ausgeprägten
– Beißreflexe zu reduzieren. Denn noch immer führt die spezielle Zuordnung
„Gender“ zum Beispiel vor dem Wort „Medizin“ zu einer 1:1 Übersetzung in
„Frauen-Medizin“, die mit radikal-emanzipatorischen Bestrebungen assoziiert,
reflexartig abgelehnt wird. Vielleicht ist das einer unter vielen Gründen, die z.T.
zu einer noch recht zögerlichen Akzeptanz und Verbreitung der Erkenntnisse aus
der Gender-Medizin führt. Je nach Indikation lassen sich durchaus Unterschiede
beobachten: während die Nationale Versorgungsleitlinie zur Behandlung einer
Depression die Diskussion um mögliche geschlechtsspezifische Besonderheiten 2015
durchaus aufnimmt, hat eine entsprechende Berücksichtigung beim Krankheitsbild koronarer
Herzerkrankungen erst im Januar 2016 Eingang in die nationale Leitlinie
gefunden. In den ESC Pocket Guidelines aus dem Jahr 2011 wird noch ausdrücklich
darauf hingewiesen, dass Männer und Frauen gleich zu diagnostizieren und zu
behandeln seien. Im Vergleich zum Krankheitsbild Depression, wo eine
geschlechtersensible Betrachtung erst Anfang der 2000er Jahre verstärkt
Gegenstand der Forschung wurde, hatten die Erkenntnisse zum "weiblichen
Herzinfarkt" einen längeren Weg bis zur Leitlinie; denn hier reicht die
Forschung bis in die 1980er Jahre.
Auch auf der internetbasierten Suche nach Universitäten,
die im Curriculum ihrer medizinischen Studiengänge Lehrangebote zu Gender-Medizin
haben, ist die Ausbeute spärlich. Neben der Charité Berlin, die mit dem Institut für Geschlechterforschung in der
Medizin u.a. auch die Grundlage für ein Mastermodul „Gender-Medizin“ geschaffen
hat, gibt es Kooperationen wie zwischen den Universitäten Duisburg Essen und
Münster sowie Initiativen zu Ringsvorlesungen wie in Aachen oder Ulm. Die Wissensvermittlung
ist auf diesem Gebiet dem individuellen Engagement einzelner (meist)
Professorinnen zu danken. Die Forderung des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB),
die Curricula an den medizinischen Fakultäten an die Forschungsergebnisse in
der Gender-Medizin (merke: eine Medizin die geschlechtsspezifischen
Besonderheiten Rechnung trägt!) anzupassen, scheint mir ein ambitionierter und
guter Plan für das Jahr 2017!