Montag, 17. November 2014

Editorial Kongressbrief Gender-Gesundheit (Dez. 2014)

Frauen und Pflege. Das scheint irgendwie zusammen zu gehören; in der beruflichen wie der privaten Praxis und – das vor allem – immer noch im gesellschaftlichen Selbstverständnis. Das Pflegezeitgesetz verspricht zwar Abhilfe bei der schwierigen Frage, wie die Fürsorge für nahe Angehörige und der Beruf in Einklang gebracht werden können. Ob aber ein Rechtsanspruch auf eine
Verringerung der Arbeitszeit und auf Rückkehr zur gewohnten Arbeitszeit das Dilemma wesentlich mindert, wird die Zukunft zeigen. Denn wie sieht es auf Arbeitgeberseite aus, müssen doch die Betriebe mit der reduzierten Arbeitszeit oder gar dem temporären Ausfall der Arbeitskraft umgehen?
Vor allem kleineren und mittleren Unternehmen fällt es oft schon schwer, Schwangerschaftsurlaub und Elternzeit organisatorisch und finanziell zu stemmen. Nun sind es nur Frauen, die Kinder bekommen können und in der ersten Zeit versorgen. Wenn jedoch weiterhin wie selbstverständlich von der Prämisse ausgegangen wird, dass Frauen später auch die Pflege für Angehörige übernehmen, sind mit einem weiblich besetzten Arbeitsplatz weitere – nennen wir es mal unpopulär – Belastungen verknüpft. Inwieweit sich das künftig im Rekrutierungsverhalten der Betriebe auswirkt, wird sich zeigen. Die Teilzeitfalle schnappt für viele Frauen schon jetzt beim Gehalt und später bei der Rente zu – bei der Karriereentwicklung sowieso. Schließt sich an die Phase der Kindererziehung die Pflege von Angehörigen an, schließt sich auch hier der Kreis. Die Aufnahme eines – zwar zinslosen – Darlehens, um den Verdienstausfall zu kompensieren, dürfte für viele Berufsgruppen, in denen vorwiegend Frauen beschäftigt sind, nicht leicht fallen.
Das Pflegezeitgesetz ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung und mag im individuellen Fall auch eine große Erleichterung sein. Die Bewältigung der Lebensaufgaben, die außerhalb einer Erwerbstätigkeit liegen, wie Kindererziehung und/oder Pflege, muss in Zukunft strukturell jedoch gesamtgesellschaftlich gelöst werden. Hier wären Überlegungen wünschenswert und zu bündeln, die nicht traditionelle Zuschreibung fortsetzten, sondern wirklich innovative Ansätze lieferten. Vielleicht beflügelt ja das Neue Jahr! In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein gesundes und erfolgreiches 2015, mit vielen frohen Stunden.

Mittwoch, 8. Oktober 2014

Jahrbuch Gendergesundheit 2014

Ich freue mich Ihnen das „Jahrbuch Gendergesundheit 2014“ heute vorstellen zu dürfen. Das Buch fasst grundlegende Aspekte der Diskussion zur Gendergesundheit zusammen und lässt die wichtigsten Akteure zu Wort kommen. Außerdem präsentiert der Band in einem ausführlichen Schlusskapitel die Ergebnisse des „Bundeskongress Gender-Gesundheit“ im Jahr 2014, der alljährlich eine Plattform für den interdisziplinären Austausch der Akteurinnen und Akteure im Gesundheitswesen etablieren ...möchte. Ziel ist es dabei ausdrücklich nicht, gegen ein bislang eher männlich ausgerichtetes Gesundheitssystem zu polemisieren, Anspruch des Jahrbuchs und des Kongresses ist es vielmehr, die unterschiedlichen Zugänge und Versorgungsnotwendigkeiten beiderlei Geschlechter in den Fokus zu nehmen und damit eine möglichst zielgenaue Versorgungseffizienz der auf allen Ebenen knapper werdenden Ressourcen zu erreichen. Vor allem die Forderung nach einem Gender-Blick auf unser Gesundheitssystem ist ein akut fälliger Schritt für eine gesundheitliche Versorgung nach den Ansprüchen des 21. Jahrhunderts. Mit dem Jahrbuch zur Gender-Gesundheit möchten die Herausgeberinnen ( Prof. Dr. Clarissa Kurscheid und Dr. Martina Kloepfer) und Autorinnen sowie der Herausgeber (Dr. Albrecht Kloepfer) und die Autoren Themen aus den Bereichen Medizin, Beruf, Wissenschaft und Gesellschaft nachhaltig begleiten und so dem Thema einmal mehr Bedeutung über den Kongress hinaus verleihen.

Weitere Informationen unter:http://www.amazon.de/Jahrbuch-Gendergesundheit-2014-Gesellschaft-Gesundheitsmarkt/dp/3862161498

Mittwoch, 16. April 2014

2. Bundeskongress Gender-Gesundheit

Editorial des KongressBriefs GenderGesundheit (März 2014)

"Wollen wir überhaupt Frauen in der Medizin haben?" Mit dieser Frage konfrontierte die designierte Präsidentin des Weltärztinnenbundes, Prof. Dr. Dr. Bettina Pfleiderer, die Teilnehmer des  2. Bundeskongresses Gender-Gesundheit am 13. und 14. März. Der rasant steigende Frauenanteil unter der Ärzteschaft wird durchaus auch als Bedrohung gesehen. So wird paradoxerweise der wachsenden Zahl von Ärztinnen eine Mitverantwortung für den Ärztemangel zugeschrieben und (aufgrund notwendiger Umstrukturierungen) für die steigenden Kosten im System. Aha! Also die Frauen sind schuld? Auch wenn diese (schlichten) Äußerungen stark an die Vorbehalte derjenigen erinnern, die vor über 100 Jahren den Untergang der Medizin fürchteten, sollten Frauen dieses Fach studieren; machen sie andererseits klar, dass es ernst wird mit dem "Wertewandel". Altes muss überdacht und vielleicht aufgeben werden, der Untergang wird spürbar und, wie bei jeder Neuerung, das Kommende dämonisiert – bis es (irgendwann) Alltag wird. Manches Selbstverständnis und mancher Wertekanon wird nicht mehr haltbar sein. Die nicht zwingend kostspielige Vereinbarkeit-von-Familie-und-Beruf  wird neue Strukturen schaffen, in der Außerberufliches einen anderen Stellenwert hat und 72-Stunden-Wochen weniger als Ritterschlag gelten, sondern eher als gesundheitlicher Leichtsinn. Christian Kraef, Präsident der Bundesvertretung der Medizin-studierenden in Deutschland (bvmd) ergänzte, dass auch die künftigen jungen Ärzte um die richtige Balance von Beruf und dem restlichen Leben bemüht sind.

Hierarchien werden durchlässiger werden – müssen. Arbeitszeiten flexibler und bestimmte Aufgaben werden delegiert werden – müssen, um für mehr Effizienz und Entlastung zu sorgen. Kurz: neue Modelle müssen gedacht und ausprobiert werden; im Arbeitsalltag, aber auch bereits in der Ausbildung. Flacherer Hierarchien fordern eine Kommunikation auf Augenhöhe und sorgen für ein Arbeitsumfeld in dem die Dropout-Quote sinkt, auch die der jüngeren männlichen Ärzteschaft. Ein weniger durch Hierarchiedenken geprägtes Arbeitsumfeld, könnte auch dazu führen, dass mehr Frauen eine Chefarztposition oder eine Professur einnehmen. Hier ist die mangelnde Vereinbarkeit weniger ausschlaggebend wie der Vergleich mit der ehemaligen DDR zeigt; denn trotz besserer Betreu-ungssituation waren auch hier nur wenige Ärztinnen auf höheren Positionen zu finden. Würde sich das Verhältnis von Medizinern und Medizinerinnen, das vor 15 Jahren bereits die Marke 50:50 erreicht hatte, annähernd in den Fakultäten der Universitäten spiegeln, hätten wir Fragen zur geschlechtsspezifischen Behandlung von koronaren Herzerkrankungen oder einer Depression oder auch einer angemessenen Medikation vielleicht früher gestellt.
Flachere Hierarchien und der Mut zur Delegation könnten auch zu einer größeren Wertschätzung und damit zur wachsenden Attraktivität des Pflegeberufes beitragen. Im Gegensatz zum prestigeträchtigen und besser bezahlten Arztberuf ist die Feminisierung in der Pflege ganz selbstverständlich. Für eine ansatzweise Maskulinisierung bedarf es der Nachbesserungen, die lange überfällig sind. Eine Männerquote könnte hier vielleicht für Beschleunigung sorgen.

Freitag, 10. Januar 2014

"Feminisierung in der Medizin"? Nicht alle sind überzeugt...


Editorial des KongressBriefs GenderGesundheit

Ein Blick über den deutschen Tellerrand zeigt, dass auch in anderen Ländern, der medizinische Nachwuchs zunehmend weiblich ist. In England überwiegt hier in der Altersgruppe der unter Dreißigjährigen der Frauenanteil mit 60 Prozent. Selbst im Geburtsland der Frauenrechtsbewegung wird diese Entwicklung auch als Gefahr wahrgenommen. In einem Artikel der Daily Mail vom 02. Januar 2014 schreibt sich der Herzspezialist, Professor J Meirion Thomas die Sorgen um das englische Gesundheitswesen von der Seele: Why having so many women doctors is hurting the NHS: A provocative but powerful argument from a leading surgeon. Die im Durchschnitt besseren Leistungen weiblicher Studenten kann zwar nicht geleugnet werden; aber nur wenige Zeilen später wird den Ärztinnen mangelnde Bereitschaft unterstellt, entbehrungsreiche Dienste und familienuntaugliche Zeiten in Kauf zu nehmen und bestimmte Facharztausbildungen gar nicht erst anzustreben. Picken sich Ärztinnnen nun die Rosinen raus oder sind sie schlicht nicht in der Lage, den vollen Arztberuf mit seinen Bedingungen zu erfüllen – eben wegen der Kinder? Diese Argumente sind durchaus auch auf deutsch zu hören. Der Klassiker? Frau ist allein verantwortlich für die Kinderbetreuung? Inzwischen interessieren sich aber auch zunehmend jüngere Männer für eine Balance zwischen Privatleben und Beruf. Eine Generationenfrage? Konstruktives wie z.B. eine Kinderbetreuung, die rund um die Uhr abgerufen werden kann, scheint nicht vorstellbar. Beispiel: die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau bietet eine Betreuung auch an Wochenenden und Feiertagen an. Ein Kindergartenplatz in England kann sich durchaus auf 150 £ pro Woche belaufen und ist noch schwerer zu bekommen als in Deutschland. In einigen Diskussionsbeiträgen wird Frauen empfohlen, schlicht die Finger vom Arztberuf zu lassen. Welcher Mann, der sich für ein Medizinstudium entschieden hat, würde zu Gunsten des Nachwuchses verzichten und  eine familienkompatiblere Tätigkeit wählen und z.B. Krankenpfleger werden? Eine ehrliche Diskussion um die „Feminisierung der Medizin“ müsste eigentlich Pflege-berufe und nichtärztliche Gesundheitsberufe mit einschließen – hier aber wird die deutliche weibliche Überzahl durchaus nicht kritisch gesehen, sondern als gegeben und „normal“ hingenommen. Müsste man um die Versorgung der PatientInnen fürchten, wenn hier ein ausgewogenes Verhältnis zwischen männlichem und weiblichem Pflegepersonal existierte? Vielleicht würden Patienten und männliche zu Pflegende von einer "Männerquote" sogar profitieren...?
Dass die Medizin in wenigen Jahrzehnten weiblicher geworden ist, mag manchem als Phänomen erscheinen und anderen als Bedrohung. Die Schärfe einiger Beiträge zeigt, dass die bevorstehende fundamentale Veränderung sehr wohl geahnt wird, tritt sie doch im Gesundheitswesen besonders deutlich zu Tage. Frauen, haben in den 100 Jahren, in denen ihnen überhaupt der Zugang zu einem Universitätsstudium gestattet ist, rasch aufgeholt und werden mit ihrer Lebens-wirklichkeit diese Berufe ausüben – angesichts des demografischen Wandels ausüben müssen. Statt in einem Entweder-oder-Modus zu verharren, wird zunehmend in Sowohl-als-auch-Kategorien gedacht werden müssen.