Editorial des KongressBriefs GenderGesundheit
Ein Blick über den
deutschen Tellerrand zeigt, dass auch in anderen Ländern, der medizinische
Nachwuchs zunehmend weiblich ist. In England überwiegt hier in der Altersgruppe
der unter Dreißigjährigen der Frauenanteil mit 60 Prozent. Selbst im
Geburtsland der Frauenrechtsbewegung wird diese Entwicklung auch als Gefahr wahrgenommen.
In einem Artikel der Daily Mail vom 02. Januar 2014 schreibt sich der
Herzspezialist, Professor J Meirion Thomas die Sorgen um das englische
Gesundheitswesen von der Seele: Why having so many women doctors is hurting
the NHS: A provocative but powerful argument from a leading surgeon.
Die im Durchschnitt besseren Leistungen weiblicher Studenten kann zwar nicht
geleugnet werden; aber nur wenige Zeilen später wird den Ärztinnen mangelnde
Bereitschaft unterstellt, entbehrungsreiche Dienste und familienuntaugliche Zeiten
in Kauf zu nehmen und bestimmte Facharztausbildungen gar nicht erst anzustreben.
Picken sich Ärztinnnen nun die Rosinen raus oder sind sie schlicht nicht in der
Lage, den vollen Arztberuf mit seinen Bedingungen zu erfüllen – eben wegen der
Kinder? Diese Argumente sind durchaus auch auf deutsch zu hören. Der Klassiker?
Frau ist allein verantwortlich für die Kinderbetreuung? Inzwischen
interessieren sich aber auch zunehmend jüngere Männer für eine Balance zwischen
Privatleben und Beruf. Eine Generationenfrage? Konstruktives wie z.B. eine
Kinderbetreuung, die rund um die Uhr abgerufen werden kann, scheint nicht
vorstellbar. Beispiel: die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau bietet
eine Betreuung auch an Wochenenden und Feiertagen an. Ein Kindergartenplatz in
England kann sich durchaus auf 150 £
pro Woche belaufen und ist noch schwerer zu bekommen als in Deutschland. In
einigen Diskussionsbeiträgen wird Frauen empfohlen, schlicht die Finger vom Arztberuf
zu lassen. Welcher Mann, der sich für ein Medizinstudium entschieden hat, würde
zu Gunsten des Nachwuchses verzichten und eine familienkompatiblere Tätigkeit wählen und
z.B. Krankenpfleger werden? Eine ehrliche Diskussion um die „Feminisierung der
Medizin“ müsste eigentlich Pflege-berufe und nichtärztliche Gesundheitsberufe
mit einschließen – hier aber wird die deutliche weibliche Überzahl durchaus
nicht kritisch gesehen, sondern als gegeben und „normal“ hingenommen. Müsste
man um die Versorgung der PatientInnen fürchten, wenn hier ein ausgewogenes Verhältnis
zwischen männlichem und weiblichem Pflegepersonal existierte? Vielleicht würden
Patienten und männliche zu Pflegende von einer "Männerquote" sogar profitieren...?
Dass die Medizin in wenigen Jahrzehnten weiblicher
geworden ist, mag manchem als Phänomen erscheinen und anderen als Bedrohung.
Die Schärfe einiger Beiträge zeigt, dass die bevorstehende fundamentale
Veränderung sehr wohl geahnt wird, tritt sie doch im Gesundheitswesen besonders
deutlich zu Tage. Frauen, haben in den 100 Jahren, in denen ihnen überhaupt der
Zugang zu einem Universitätsstudium gestattet ist, rasch aufgeholt und werden
mit ihrer Lebens-wirklichkeit diese Berufe ausüben – angesichts des
demografischen Wandels ausüben müssen. Statt in einem Entweder-oder-Modus zu
verharren, wird zunehmend in Sowohl-als-auch-Kategorien gedacht werden müssen.
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