Freitag, 10. Januar 2014

"Feminisierung in der Medizin"? Nicht alle sind überzeugt...


Editorial des KongressBriefs GenderGesundheit

Ein Blick über den deutschen Tellerrand zeigt, dass auch in anderen Ländern, der medizinische Nachwuchs zunehmend weiblich ist. In England überwiegt hier in der Altersgruppe der unter Dreißigjährigen der Frauenanteil mit 60 Prozent. Selbst im Geburtsland der Frauenrechtsbewegung wird diese Entwicklung auch als Gefahr wahrgenommen. In einem Artikel der Daily Mail vom 02. Januar 2014 schreibt sich der Herzspezialist, Professor J Meirion Thomas die Sorgen um das englische Gesundheitswesen von der Seele: Why having so many women doctors is hurting the NHS: A provocative but powerful argument from a leading surgeon. Die im Durchschnitt besseren Leistungen weiblicher Studenten kann zwar nicht geleugnet werden; aber nur wenige Zeilen später wird den Ärztinnen mangelnde Bereitschaft unterstellt, entbehrungsreiche Dienste und familienuntaugliche Zeiten in Kauf zu nehmen und bestimmte Facharztausbildungen gar nicht erst anzustreben. Picken sich Ärztinnnen nun die Rosinen raus oder sind sie schlicht nicht in der Lage, den vollen Arztberuf mit seinen Bedingungen zu erfüllen – eben wegen der Kinder? Diese Argumente sind durchaus auch auf deutsch zu hören. Der Klassiker? Frau ist allein verantwortlich für die Kinderbetreuung? Inzwischen interessieren sich aber auch zunehmend jüngere Männer für eine Balance zwischen Privatleben und Beruf. Eine Generationenfrage? Konstruktives wie z.B. eine Kinderbetreuung, die rund um die Uhr abgerufen werden kann, scheint nicht vorstellbar. Beispiel: die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau bietet eine Betreuung auch an Wochenenden und Feiertagen an. Ein Kindergartenplatz in England kann sich durchaus auf 150 £ pro Woche belaufen und ist noch schwerer zu bekommen als in Deutschland. In einigen Diskussionsbeiträgen wird Frauen empfohlen, schlicht die Finger vom Arztberuf zu lassen. Welcher Mann, der sich für ein Medizinstudium entschieden hat, würde zu Gunsten des Nachwuchses verzichten und  eine familienkompatiblere Tätigkeit wählen und z.B. Krankenpfleger werden? Eine ehrliche Diskussion um die „Feminisierung der Medizin“ müsste eigentlich Pflege-berufe und nichtärztliche Gesundheitsberufe mit einschließen – hier aber wird die deutliche weibliche Überzahl durchaus nicht kritisch gesehen, sondern als gegeben und „normal“ hingenommen. Müsste man um die Versorgung der PatientInnen fürchten, wenn hier ein ausgewogenes Verhältnis zwischen männlichem und weiblichem Pflegepersonal existierte? Vielleicht würden Patienten und männliche zu Pflegende von einer "Männerquote" sogar profitieren...?
Dass die Medizin in wenigen Jahrzehnten weiblicher geworden ist, mag manchem als Phänomen erscheinen und anderen als Bedrohung. Die Schärfe einiger Beiträge zeigt, dass die bevorstehende fundamentale Veränderung sehr wohl geahnt wird, tritt sie doch im Gesundheitswesen besonders deutlich zu Tage. Frauen, haben in den 100 Jahren, in denen ihnen überhaupt der Zugang zu einem Universitätsstudium gestattet ist, rasch aufgeholt und werden mit ihrer Lebens-wirklichkeit diese Berufe ausüben – angesichts des demografischen Wandels ausüben müssen. Statt in einem Entweder-oder-Modus zu verharren, wird zunehmend in Sowohl-als-auch-Kategorien gedacht werden müssen. 

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