Angela Merkel will junge Menschen
ermutigen, den Pflegeberuf zu ergreifen. Das ist gut. Der Versuch,
die geringe Bezahlung mit der persönlichen Erfüllung, die diese
Arbeit am und für den Menschen mit sich bringt, aufzuwiegen, ist
zweifelhaft. Man staunt, wie weit sich Spitzenpolitiker, von der
Realität entfernen können. Zunächst stellt sich die Frage ob und
wann die Bundeskanzlerin das letzte Mal ein Krankenhaus oder ein
Altenpflegeheim wirklich von innen gesehen hat. Nicht die
Gesellschaftsräume, sondern z.B. ein Zimmer der Pflegestufe 3. Die
Ausübung des Pflegeberufes ist ohne eine grundsätzliche
Bereitschaft, kranke bzw. alte Menschen in allen Lebensbereichen (!)
zu betreuen und zu versorgen, verbunden mit den täglichen
körperlichen und psychischen Herausforderungen gar nicht denkbar.
Oder anders formuliert: die intrinsische Motivation muss auf jeden
Fall sehr hoch sein, da gegenwärtig weder Geld noch Prestige locken.
Nächstenliebe – nennen wir es mal
so – als Lohnersatz ins Feld zu führen, leugnet die längst
überfällige Notwendigkeit, dieser Berufsgruppe eine angemessene
Bezahlung und gesellschaftliche Anerkennung zukommen zu lassen. Als
Subbotschaft ließe sich das Folgende interpretieren: Pflege wird in
der kollektiven Wahrnehmung immer als noch Akt der Barmherzigkeit
gewertet; in früheren Zeiten für Gottes Lohn von mildtätigen
Nonnen geleistet. Eine so formulierte Aufforderung seitens der
Regierungschefin mutet leicht zynisch an, zeigt sie doch den geringen
Stellenwert, den dieser Bereich augenscheinlich in der Politik
(außerhalb der Gesundheitspolitik) und z.T. auch in der Gesellschaft
hat. Es ist schwer vorstellbar, dass z.B. künftige KFZ-Mechaniker
oder Mitarbeiter der Müllabfuhr in dieser Form angeworben würden.
Vor allem für die Letzt genannte Berufsgruppe wird häufig die
körperliche Schwerstarbeit ins Feld geführt, die eine gute
Bezahlung und gute Konditionen erforderlich machen. Das ist richtig.
Die Zahlen des BKK-Gesundheitsberichts von Juli 2017 belegen
allerdings, dass der Krankenstand unter Pflegekräften signifikant
höher ist als der in anderen Berufsgruppen. Im Vergleich verdoppeln
sich die Krankentage, die auf psychische Erkrankungen oder Muskel-
und Skelettkrankheiten zurückzuführen sind. Männliche Pflegekräfte
leiden zudem unter der psychischen Belastung stärker als ihre
Kolleginnen, bedürfen sie doch zu 15 Prozent mehr eines stationären
Aufenthaltes.
Spärliche Bezahlung, die nach den
aktuellen und vermutlich künftigen Bedingungen, nach den geleisteten
Berufsjahren Altersarmut nach sich ziehen kann und z.T. befristete
Arbeitsverhältnisse (32,9 Prozent in der Altenpflege) tragen auch
nicht zu einem sicheren Lebensgefühl bei.
Will man den Pflegenotstand bewältigen
und die rund 200.000 offenen Vollzeitstellen, die laut verschiedener
Studien bis 2025 zu erwarten sind, mit qualifiziertem Personal
besetzen, wird man nicht umhin kommen, an der Lohnschraube nach oben
zu drehen und strukturell an den Arbeitsbedingungen zu arbeiten.
(http://www.bkk-dachverband.de/publikationen/bkk-gesundheitsatlas)
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